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Verfassungshoheit: zum Begriff

 Eine Anmerkung zu den Kommentaren und im Nachgang zu den Diskussionen während der Jahrestagung von VvV (2017)

 
Zum Begriff einer Verfassung vom Volk gibt es Fragen, die sich sowohl in den Diskussionen der Arbeitsgruppe 1 wie auch in den Kommentaren zeigten. Deshalb wird hier nachfolgend nochmals zum Begriff Stellung genommen. Gleichzeitig wird aber darauf hingewiesen, dass das unterschiedliche Verständnis auch die Möglichkeit schafft, den Begriff selbst zu schärfen und Einstiegshilfen für die zu schaffen, die sich erstmals mit ihm befassen.

Im praktischen Gebrauch löst der Begriff Verfassung vom Volk unterschiedliche Assoziationen aus, weil implizites – manchmal auch vorrationales Wissen – in das Verständnis des Begriffes einfließen. Das führt z.B. dazu, dass als Erklärungsansatz einer Verfassung vom Volk versucht wird, auf Synonyme zurückzugreifen. Im Ergebnis entstehen oft Gleichsetzungen, die folgender Natur sein können: Eine Verfassung vom Volk bedeutet z.B. mehr Demokratie oder direkte Demokratie oder sie bedeutet mehr Volksabstimmungen. Um die Trennschärfte des Begriffes zu erhalten müssen wir zwischen Verfassung vom Volk und den vorgenannten Begriffen jedoch differenzieren.

Deshalb sei klargestellt: In einer Demokratie kann nur das Volk die Hoheit über die Verfassung haben. Wie es diese Hoheit nutzt, bleibt ihm überlassen. Instrumente wie Volksabstimmungen sind dann Ausfluss dieser Verfassungshoheit. Sie erklären Verfassungshoheit nicht, sie folgen ihr. Denkbar ist z.B., dass es Volksabstimmungen gibt, ohne dass die Hoheit des Volkes über die Verfassung besteht. Aber in welcher Form es dann Volksabstimmungen gibt, wie lange es sie gibt, wäre nicht vom Volk zu entscheiden.

Ähnlich verhält es sich mit anderen Begriffen. Z.B. die direkte oder repräsentative Demokratie stellen politische Regierungs- und Handlungsformen dar, die nicht gleichzusetzen sind mit Verfassungshoheit. Unser repräsentatives System hat z.B. seinen Ursprung in einer Setzung der Alliierten. Natürlich ist denkbar, dass das Volk im Rahmen seiner Verfassungshoheit entscheidet, dieses System in dieser oder einer anderen Form oder ein System mit mehr oder weniger Direkter Demokratie zu übernehmen oder einzuführen. Auch dies ist bzw. wäre eine Folgeentscheidung des Souveräns.

Daraus ergibt sich, dass unser Vorgehen auf den ersten Schritt, auf die Herstellung der Verfassungshoheit beschränkt ist. Demgegenüber treten inhaltliche Fragen zurück. Einerseits sind sie gegenüber dem Hoheitsrecht des Volkes, sich eine Verfassung in eigener Kompetenz zu geben, sekundär und andererseits entspricht es dem demokratischen Grundverständnis von Verfassung vom Volk, dass der Souverän nach Inkraftsetzung einer Verfassung vom Volk selbst bestimmen sollte, ob und in welcher Form Fragen der Verfassungsentwicklung angegangen und umgesetzt werden sollten.

Es gibt auch Schnittstellen zu Gruppen, die sich zur Realisierung der Verfassungshoheit durch das Volk auf den Art. 146 des GG berufen. Auch hier wollen wir uns unterscheiden. Der Art. 146 drückt diesbezüglich nur aus, was in der Menschrechtscharta formuliert wurde. Das Souveränitätsrecht (die Verfassungshoheit) wird uns nicht verliehen. Wir haben es. Es ist ein unlösbarer Teil unseres Menschseins.

Wir meinen, dass sich in einer Demokratie alle politische Herrschaftsgewalt vom Volk her konstituieren muss. Das Volk ist der Souverän. Diese Souveränität herzustellen ist Sinn und Zweck von Verfassung vom Volk. Denn alle Gründe für demokratische Macht- und Gewaltausübung hängen an diesem Ausgangspunkt. Der Herstellungsprozess einer Verfassung vom Volk sollte nach unserer Auffassung von einem Wir-Bewusstsein getragen werden, das sich nur aus einem gemeinsamen Handlungs- und Gestaltungswillen ergeben kann. Dieser muss aus der Kraft emotionaler Bindungskräfte entstehen, um zu bewirken, dass Bürgerinnen und Bürger diesen Staat in die eigenen Hände übernehmen. Deshalb müssen wir auf dem Weg dahin, mit Unterschieden und unscharfen Begriffen leben und umgehen, weil auf jeder Stufe des Weges Menschen zu uns stoßen werden, die ihre Einstiegsfragen mit den Begriffen haben.

Unsere Tagung hat gezeigt, dass wir gemeinsam zu sehr positiven Ergebnissen kommen können. Deshalb ist es wichtig auch die unterschiedlichen Verständnisse von Verfassungshoheit deutlich zu machen und sie nicht in Gruppenkonsensverfahren untergehen zu lassen. Erst die vorgetragenen Beispiele geben uns Gelegenheit, ein gemeinsames Verständnis nicht durch Gruppen- oder gar Vorstandsdefinition vorzugeben, sondern es durch Handeln entstehen zu lassen. In dem Sinne bitte ich Mitglieder und Gäste unserer Webseite, sich an der Debatte zu beteiligen.

Heinz Kruse
Hannover, 19.04.2017

 
 

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